Hier geht es zu den Preisträger:innen des NESTROY 2025.
EIN CHEMTRAIL WEIST DEN WEG – Nachtkritik aus dem Hessischen Staatstheater Wiesbaden
Diesmal steht ihr Name drauf: Nachdem die britische Dramatikerin Lucy Kirkwood die deutsche Erstaufführung ihres Verschwörungstheoretiker-Stücks noch unter einem Pseudonym versteckt hatte, inszeniert Jan Bosse jetzt mit offenen Karten. Verwirrend wird es trotzdem.
23. November 2025. "The rapture!" Der englische Ausruf erfolgt in einer Art rauschhafter Erwartung, Christus höchstselbst zu begegnen. Weit weniger für beseeltes Exklamieren eignet sich das deutsche Wort "Entrückung". Und doch passt der Titel "Entrückt" ganz gut zu Corinna Brochers Übersetzung des 2022 im Londoner Royal Court Theatre uraufgeführten Dramas "Rapture" der Britin Lucy Kirkwood. Folgt der Text doch einem Paar, das sich über ein Jahrzehnt hinweg in Verschwörungsnarrative von Chemtrails bis Corona hineinsteigert.
Die deutschsprachige Erstaufführung fand 2024 am Staatstheater Cottbus statt. Angekündigt worden war damals ein Stück mit dem Titel "Verblendet" von einem gewissen Dave Davidson. Das war von der 1984 geborenen Dramatikerin vorgesehen und wurde auch bei der Uraufführung so gehandhabt, "That Is Not Who I Am" lautete da der Fake-Titel. Es sollte der Eindruck erweckt werden, der wahre Stückinhalt sei so brisant, dass die Autorin, die sich selbst als Figur hineingeschrieben hatte, ihn lieber nicht an die große Glocke hängen wolle.
Angelegt darauf, Fallen zu stellen
Nun lässt sich so ein Versteckspiel pro Aufführungssprache nur einmal spielen. In Jan Bosses Wiesbadener Version ist vom Autor Dave Davidson also keine Rede mehr. Die "Autorin" im Stück gibt es aber weiterhin, und dass die Schauspielerinnen-Schwestern Maria und Klara Wördemann nicht wirklich Lucy Kirkwood sind (schon gar nicht beide), die vermeintlich hier präsentierte "Doku" also erfunden ist, steht zu jedem Zeitpunkt außer Zweifel.
KULTUR HEUTE – Radiokritik aus dem Akademietheater im Deutschlandfunk
Atmo vom Stückbeginn
So böse war er eigentlich gar nicht! Neuere Forschungen haben ergeben, dass der Ruf König Richards III. von William Shakespeare gründlich ruiniert wurde. Wahrscheinlich intrigierte er nicht, ließ seine Neffen nicht ermorden – und sogar das mit dem Buckel könnte Erfindung sein. Aber wo bleibt da der Spaß – am Theater? Regisseur Wolfgang Menardi und Burgschauspieler Nicholas Ofczarek beteiligen sich zum Glück jedenfalls nicht an der Rehabilitierung des einstigen Königs von England. Sie zeichnen einen kalten, manipulativen und körperlich versehrten Schurken, den sein Umfeld hasst, dem sich aber auch niemand entziehen kann.
Lady Anne: Ich wünscht, ich kenn dein Herz.
Richard: Auf meiner Zunge liegt’s.
Lady Anne: Hab Angst, sind beide falsch.
Richard: Dann war nie einer treu. Darf ich in Hoffnung sein?
Lady Anne: Ich hoffe, jeder ist’s.
Richard: Trag diesen Ring von mir.
Ein Entkommen ist in dem Raum, in dem sich das alles abspielt, sowieso nicht möglich. Menardi, auch – und ursprünglich nur – Bühnenbildner des Abends, platziert Ofczarek und seine fünf Mitspielerinnen in die verflieste Ecke eines mysteriösen, verlassenen Gebäudes, zusammen mit kaputten Tierskulpturen, ausrangierter Technik und allerlei sonstigem Müll. Durch eine Hundehütte kann ein Roboterhund als Einziger ein und ausgehen. Der wirkt daher auch vergleichsweise fröhlich und agil, während die sechs menschlichen Bewohner:innen ein Endzeit-Gefühl ausstrahlen, das eher an Samuel Beckett als an William Shakespeare erinnert.
Weiterhören:
Kultur heute
Moderation: Susanne Luerweg
Samstag, 22. November 2025, 17:30 Uhr, Deutschlandfunk
FAZIT – KULTUR VOM TAGE – Live-Kritik aus dem Akademietheater auf Deutschlandfunk Kultur
Auftrag
Live-Kritik der Premiere „Richard III“ im Gespräch mit Eckhard Roelcke
Auftraggeber
Deutschlandfunk Kultur
Projektinfo
Richard, Herzog von Gloucester, ist hässlich und missgebildet und will „ein Bösewicht werden“. Sein erklärtes Ziel ist die Erringung der Königskrone und darüber die absolute Herrschaft. Zu diesem Zweck geht er über Leichen und tötet Familienmitglieder, Vertraute und politische Gegner, frei von Empathie oder moralischen Bedenken. Eine ebenso brutale wie faszinierende Figur, in der sich die Erotik der Macht und die Faszination des Bösen vereinen: William Shakespeare hat 1593 mit Richard III. einen der größten Verführer der Theaterliteratur geschaffen, einen schauspielernden Politiker und zynischen Machiavellisten, einen Alleinherrscher, dessen geistige und politische Erben bis zum heutigen Tag ihr Unwesen treiben.
Fazit – Kultur vom Tage
Moderation: Eckhard Roelcke
Freitag, 21. November 2025, 23:05 Uhr, Deutschlandfunk Kultur
